Über unterschiedliche Werte als zentrale Ursache für (Unternehmens-)Konflikte
Werte repräsentieren Überzeugungen, die immer mit Emotionen verbunden sind. Sie sind Motivationsquellen, steuern unsere Aufmerksamkeit und Wahrnehmung. Werte sind zeitlich stabil und immer positiv konnotiert. Wertaktivierung verursacht entsprechendes Verhalten und unterstützt konstruktive Reflexion (Kross et al, 2012). Werte sind Leitprinzipien, die ein Leben „gut“, „wahr“ oder „richtig“ machen, sie offenbaren, was Menschen für wichtig halten. Sie sind in die Zukunft gerichtet und repräsentieren angestrebte Ergebnisse und Verhaltensweisen (Hauke, 2013). Werthaltungen sind als persönliche Ressourcen mit Identität und Selbstbild verbunden und dienen in günstiger Weise dem Schutz vor emotionalen Verletzungen (Sherman & Cohen, 2006). Die Beschäftigung mit Werten senkt den Stresslevel und erleichtert gleichzeitig den Umgang mit negativen Informationen (Creswell et al., 2005).
Welche Werte gibt es?
Bei der Suche nach einer möglichst umfassenden Systematik menschlicher Werte fand man auf empirischem Wege eine 2-dimensionale Wertestruktur, die weltweit inzwischen für 75 Länder validiert werden konnte (Schwartz, 2011). Hier lassen sich zehn verschiedene Arten von Werten (statistisch, aber auch inhaltlich) voneinander abgrenzen und unterscheiden.
Definition der 10 Wertedomänen nach Schwartz (1992):
- Macht: Sozialer Status und Prestige, Kontrolle oder Dominanz über Menschen und Ressourcen (soziale Macht, Autorität, Wohlstand)
- Leistung: Persönlicher Erfolg durch Zeigen von Kompetenz in Hinblick auf soziale Standards (erfolgreich, tüchtig, ehrgeizig, einflussreich)
- Hedonismus: Vergnügen und emotionale Befriedigung für sich selbst (Freude, Genuss)
- Anregung: Begeisterung, Neuheit und Herausforderung im Leben (Wagnisse, abwechslungsreiches, bewegtes, aufregendes Leben)
- Selbstverwirklichung: Unabhängiges Denken und Handeln, Schaffen, Erforschen (Kreativität, Verrücktsein, Freiheit, eigene Ziele auswählen)
- Universalismus: Verständnisvoll, Dankbarkeit, Toleranz und Schutz für das Wohlergehen aller Menschen und der Natur (Verstehen, Akzeptieren anderer, Frieden, soziale Gerechtigkeit, Weisheit, Gleichheit, Schutz der Natur)
- Wohlwollen: Erhalten und Stärken des Wohlergehens von Menschen, mit denen man in häufigem persönlichen Kontakt steht (hilfsbereit, ehrlich, verzeihend, loyal, verantwortlich)
- Tradition: Respekt, Verpflichtung und Akzeptanz gegenüber Bräuchen, Sitten und Vorstellungen aus Kultur und Religion (Respekt für die Tradition, gemäßigt, bescheiden, aufopferungsbereit, Akzeptieren der Gegebenheiten des eigenen Lebens)
- Konformität: Zurückhalten solcher Impulse, Neigungen und Handlungen, die andere Menschen, soziale Erwartungen oder Normen verletzen könnten (Höflichkeit, Gehorsam, Selbstdisziplin, Verehrung der Eltern und der Alten)
- Sicherheit: Sicherheit, Harmonie und Stabilität der Gesellschaft, von Beziehungen und des Selbst (Sicherheit der Familie, der Nation, soziale Ordnung, Anstand, Gegenseitigkeit von Wohlwollen und Gefälligkeit)
Die allgegenwärtige Digitalisierung der Arbeitswelt stellt bisherige Führungskonzepte in Unternehmen auf den Kopf. Waren dort bislang Wertedomänen wie Status und Macht verankert, fordert das Leadership 4.0 Teamfähigkeit, Offenheit für Feedback, Fehlerkultur und Empathie. Alles Attribute, die zwar zum Profil eines Psychotherapeuten passen, jedoch im Top Management häufig noch paradox erscheinen und als Gefühlsduselei missverstanden werden. Um diese „neuen“ Werte im unternehmerischen Kontext richtig umsetzen zu können, erfordert es zunächst eine Bewussstmachung und Klärung der eigenen Gefühle, Verhaltensweisen und des zugrunde liegenden Wertesystems.
Moment mal….wie soll die Beschäftigung mit Gefühlen helfen, leistungsstärker, innovativer, schneller und kreativer zu werden? Nun, dies wird vor allem dort besonders deutlich, wo interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team eine Rolle spielt. Die Konflikte an der Führungsspitze, die mit dem zunehmenden wirtschaftlichen Druck, technischem Wandel und neuen Märkten zusammenhängen, zeigen ihre Auswirkungen vom Vorstand bis in die Sphäre der einzelnen Mitarbeiter und lassen sich als Wertekonflikte darstellen.
Wertekonflikte können nur in einer Atmosphäre des Vertrauens gelöst werden. Vertrauen ist als Erwartungshaltung immer mit dem Risiko der Enttäuschung und des Verlustes verbunden. Vertrauen entsteht nicht von allein, es muss entwickelt werden. Dieser erste Schritt zur Vertrauensbildung bringt eine gewisse Verletzlichkeit mit sich, denn man kann seinen Einsatz zunächst verlieren. Kurz- oder mittelfristig zahlt sich der Mut zum Risiko jedoch aus, denn nur so wird die Wahrscheinlichkeit langfristigen vertrauensvollen Umgangs erhöht. Um das „Vertrauenskonto“ ist es also ebenso bestellt wie um das Bankkonto: Wer einen guten Kontostand anstrebt, muss darauf achten, dass er mehr einzahlt als er entnimmt.
Fazit: Eine Veränderung in der Wertelandschaft tritt nur ein, wenn von Außen ein entsprechender Veränderungsprozess startet. Ein solcher Veränderungsprozess muss jedoch so gestaltet sein, dass er nicht defensive oder Schutzprozesse aktiviert, die eher dazu führen können, dass die bisherige Wertorientierung noch weiter verfestigt wird.
Für die Praxis von Coachings bedeutet dies, unbedingt an der Unternehmensspitze anzusetzen. Ziel dieses wichtigen Schrittes besteht in einer dezidierten Bestandaufnahme (Faktensammlung) über die verschiedenen Arbeitsbereiche sowie Transparenz sämtlicher Prioritäten und vertretener Werte. Die Arbeitsbereiche müssen hier wechselseitig einen Zuwachs an Informationen gewinnen und lernen, dass es psychologisch und ökonomisch notwendig ist, Interesse und Verständnis füreinander aufzubringen. Beim Coaching der Leitungsteams werden die Wertekonflikte, die im Spannungsfeld geforderter Zielsetzungen auftreten, besonders deutlich. Die Arbeit mit Werten ermöglicht es, eine Baseline für die weiteren Schritte zu setzen und fokussiert auf Wertebalance: antagonistische Werte müssen ausbalanciert werden, um das Funktionieren des Gesamtsystems Unternehmen zu optimieren.